Steinböcke an der Benediktenwand
Eigentlich gehören Steinböcke ja in die Zentralalpen, aber in den sechziger Jahren wurde ein einzelner verirrter Bock an der Benediktenwand zum Stammvater einer Herde bayerischer Steinböcke. Drei Geißen hatte man ihm eigens aus St. Gallen eingeflogen. Heute liegt die Population an der Benediktenwand bei etwa 70 Tieren.
Während der letzten Eiszeit waren Steinböcke noch im
Tiefland verbreitet. 17.000 Jahre alte Felszeichnungen in der
berühmten Lascaux-Höhle im heutigen Frankreich bezeugen
das. Erst nach dem Schmelzen der Gletscher zogen sich die Tiere in
die hohen Gebirge der Zentralalpen zurück. Hier hatten
Raubtiere kaum eine Chance gegen die geschickten Kletterer. Nur der
Mensch stellte ihnen immer wieder nach. Die mittelalterliche
Medizin sagte den Steinböcken wegen ihrer Kletterkünste
übernatürliche Kräfte nach und in höfischen
Kreisen war die halsbrecherische Jagd in Steilwänden ein
Beweis für Wagemut und Geschicklichkeit.
Zu einer wirklichen Bedrohung wurde die Jagd nach den Steinböcken aber erst mit der Verbreitung des Schießpulvers im 15. Jahrhundert. Begehrt in Heilkunde, als Trophäe oder Festtagsbraten wäre drei Jahrhunderte später der letzte Alpensteinbock um ein Haar für immer verschwunden. Doch der italienische König Vittorio-Emanuele erkannte die Gefahr. Er machte die notorischsten Wilderer zu gut betuchten Wildhütern und rettete damit ein paar Dutzend Tiere am Gran Paradiso. Alle seit 1911 wieder angesiedelten Tiere stammen von dieser kleinen Kolonie ab.
Heute schätzt man den Bestand im gesamten Alpenraum auf bis zu 80.000 Tiere. Trotz genetischer Risiken eine gelungene Wiedereinbürgerung. Steinböcke scheinen einer Inzucht gegenüber tolerant zu sein. Fruchtbarkeitsstörungen gibt es zumindest nicht . Mit negativen Folgen der Inzucht haben auch die vier bayerischen Steinbockkolonien nicht zu kämpfen, dennoch sind die Zuwachsraten der paar Hundert Tiere wesentlich geringer als die ihrer Blutsverwandten in den Zentralalpen. Die angenehme Folge: Sie werden kaum bejagt und sind sehr zahm.
An der Benediktenwand machen sie sich sogar nützlich. Das
Gebiet um die Probstalm, ein paar hundert Meter unterhalb der
Gipfel, ist wegen seiner Flora besonders schutzwürdig. Die
Steinböcke beweiden die Wiesen und wirken damit einer
Verbuschung der wertvollen Flächen entgegen. Dennoch ist nach
Expertenmeinung keines der vier bayerischen Steinbockvorkommen auf
Dauer gesichert.
Steinböcke sind an trockene Gebiete angepasst. Deshalb geht
es ihnen am besten in den großen, steilen Zentralalpen, wo
sie südliche, südwestliche Hänge haben, auf die im
Winter die Sonne scheint. An der Benediktenwand hat der Steinbock
in den letzten Jahren Glück gehabt, weil es relativ wenig
Schnee gegeben hat. Und da sich das Klima zu erwärmen scheint,
werden auch die bayerischen Gebiete steinbockfreundlicher. Doch bei
mehreren strengen Wintern hintereinander könnten sich die
Tiere nicht halten.
Steinbock-Populationen wie die bayerischen, die klein und in der
Nähe des Waldes sind, können auch nur dort
überleben, wo es keine Raubtiere gibt. Doch eine
Wiedereinbürgerung von Wölfen oder Luchsen ist ja in
Oberbayern vorerst nicht in Sicht. So schlecht sieht es also gar
nicht aus für die bayerischen Steinböcke.